Der Sommer neigt sich schon fast wieder dem Ende entgegen. Die Tage werden kürzer, die Nächte kühler und ich komme nach Urlauben und langen Wochenenden an Brandenburger Seen nun auch mal wieder dazu, meine Sommerlektüre zu rezensieren.
Nach einer Empfehlung meiner Lieblingsbuchhändlerin habe ich nun endlich Tove Ditlevsen gelesen und bin schwer begeistert. Ich habe die drei Bände der Kopenhagen Trilogie direkt in einem Rutsch gelesen. In Dänemark ist Tove Ditlevsen seit Jahrzehnten eine bekannte Schriftstellerin und nun hat sie auch postum hier in Deutschland Bekanntheit erlangt. In der Kopenhagen Trilogie schildert sie minutiös ihr Aufwachsen im Kopenhagener Armutsviertel, ihre frühe Liebe zu Büchern ganz besonders der Lyrik and ihren Wunsch, ein Buch zu veröffentlichen, der sie immer wieder antreibt.
Tove Ditlevsen erzählt nah am inneren Erleben. Es gibt fast keine Lücke zwischen Ereignis und Erlebnis. Man folgt ihr gern, auch an die dunklen Orte von Abtreibung, Alkohol und Drogensucht. Es sind drei wunderbare schmale Bücher, die ich uneingeschränkt empfehlen kann.
Lang nachgehallt hat in mir auch Helga Schuberts „Vom Aufstehen“, eine Sammlung an Geschichten, die ihr Leben erzählen. Gleich mit der ersten Geschichte aus ihrer Kindheit, in der Hängematte liegend im Garten ihrer Großmutter zwischen zwei Apfelbäumen, wo ihr am ersten Tag der Sommerferien nach dem Mittagsschlaf der Duft von Streuselkuchen in die Nase stieg, hat sie mich sofort in ihren Bann gezogen. Ihr ganzes Leben ist geprägt von der nicht liebesfähigen, distanzierten Mutter, um deren Liebe und Zuneigung Helga Schubert doch ringt. Sie beschreibt in sanftmütiger Beharrlichkeit ihr Aufwachsen in der DDR, ihre ersten schriftstellerischen Erfolge und den Mauerfall, der als Befreiung aus der DDR wahrgenommen wurde. Es ist ein sanftes Buch, in dem kein Wort zu viel ist und das mir lange als Gefühl geblieben ist.
Lang erwartet habe ich Daniela Kriens neues Buch „Der Brand“. Darin erzählt sie mit einem gnaden-, aber nie mitleidlosen Blick ein, was ein Eheleben aushalten muss. Ich kann sagen, es ist definitiv so gut wie der Vorgänger „Die Liebe im Ernstfall“. Rahel und Peter heißen dessen Protagonisten, ein in Dresden lebendes Paar, das auf bald 30 Ehejahre zurückblickt und, so scheint es, langsam auf einen unaufgeregten Lebensabend zusteuert. Eine Stornierung in letzter Minute zwingt die beiden ihre Urlaubspläne zu ändern und statt in Oberbayern zu wandern, sich um den maroden Hof einer Freundin in der Uckermark zu kümmern. Drei Wochen verbringt man dort, drei Wochen, die den Roman strukturieren und alles, was diese Ehe an latenten Problemen aufweist, schrittweise ans Tageslicht bringen. Zwischen nachlassendem sexuellen Interesse, Schwierigkeiten im Beruf, anstrengenden Kindern spürt man doch immer wieder die Liebe und Zuneigung der beiden und ihr Wunsch, einander und ihre Beziehung nicht aufgeben zu wollen. Beide suchen nach einem Weg, ihre Ehe weiterzuleben und dabei auch den veränderten, individuellen Bedürfnissen Raum zu geben. Daniela Krien gelingt es in schlichter Sprache, weitestgehend ohne Stereotype, spürbar zu machen was in diesen mit sich und der Welt ringenden Figuren vor sich geht. Fazit: Unbedingt lesenswert.
Hier sind all meine Sommerbücher:
Tove Ditlevsen; „Kindheit“; Aufbau Verlag, 2020. 118 Seiten, 18 Euro
Tove Ditlevsen; „Jugend“; Aufbau Verlag, 2020. 125 Seiten, 18 Euro
Tove Ditlevsen; „Abhängigkeit“; Aufbau Verlag, 2020. 130 Seiten, 18 Euro
Jemma Wayne; „Der silberne Elefant“, Eisele Verlag, 2021, 432 Seiten, 25 Euro
Angela Lehner; „Vater Unser“; Hanser; 2020; 288 Seiten, 11 Euro
Laura Karasek; „Drei Wünsche“; Eichborn Verlag; 2019; 368 Seiten; 20 Euro
Helga Schubert; „Vom Aufstehen. Ein Leben in Geschichten“; dtv, München; 2021; 222 Seiten; 22 Euro
Young-ha Kim; „Aufzeichnungen eines Serienmörders“Cass Verlag, Bad Berka 2020; 152 Seiten; 20 Euro
Jovana Reisinger; „Spitzenreiterinnen“; Verbrecher Verlag; Berlin 2021; 270 Seiten; 20 Euro
Daniela Krien; „Der Brand“; Diogenes; Zürich 2021; 272 Seiten; 22 Euro